Die Alumni erzählen über die Schweizer Schule Rom
INTERVIEW MIT VITTORIO BRAGUGLIA
Managing Director Mercedes Benz France
Wir haben Dr. Braguglia, ehemaliger Schüler der SSR von der Primarschule bis zur Matura, getroffen. Seine persönliche und einfühlsame Erinnerung ist ein wertvoller Beitrag, um die Werte und Methoden der Schule zu verstehen – Werte und Methoden, die in der Lage sind, die Schülerinnen und Schüler in eine bewusste und vielversprechende Zukunft zu führen, wie seine eigene Erfahrung zeigt.
VB_ Sie wissen um meine Verbundenheit mit der Schweizer Schule Rom und die Bedeutung, die sie in meiner Ausbildung gehabt hat. Das, was wir sind, hängt sicher sehr von der eigenen DNA, von Zufällen und deiner Laufbahn ab, aber auch von der Schule, die du besuchst. Du kannst nicht wählen, wo und in welcher Familie du aufwächst, aber die Schule schon.
Erzählst du ein bisschen von Dir, was ist Deine aktuelle Beschäftigung?
VB_Meine Arbeit heute ist nicht die von gestern, und wird nicht die von morgen sein. Ich arbeite für Mercedes Benz seit fast 30 Jahren und habe 12 Positionen in 6 verschiedenen Ländern innegehabt. Ich bin ein Migrant von berufs wegen. Ich war in vielen Positionen tätig und habe für verschiedene Marken des Konzerns gearbeitet. Das ist der grosse Vorteil in einem multinationalen Konzern: Viele Chancen und neue Situationen, die man bewältigen soll. Und es ist sicher auch das, was ich der Schule verdanke: die Fähigkeit, mich auf Basis meiner Talente Situationen anzupassen über den langen Weg menschlichen Wachstums. Das ist es, was meiner Meinung nach eine Schule leisten sollte: Spiegelbild dessen zu sein, wer du bist und was du einmal werden könntest. Weil die Talente der einzelnen Personen entdeckt werden müssen und die Lehrer der SSR hatten die Aufgabe, sie zu reflektieren und dir eine entsprechende Orientierung zu geben.
Wie hat die SSR deine Talente zum Vorschein gebracht? Welche Methoden hat die Schule angewandt?
VB_Eine Schule könnte nur passiv Know-how vermitteln. Aber nur Know-how vermitteln wäre so, als ob ich als Manager mit allen meinen Mitarbeitern auf die gleiche Weise reden würde. Das wäre falsch. Eine der Fähigkeiten des Managers ist es, Personen zu “lesen”, sich ihnen anzupassen und sie auf einem Weg begleiten. Die Schule ist wie ein Betrieb, der Lehrer ist ein Manager, der entdeckt, wen er vor sich hat und diesem etwas vermittelt, das auf ihn zugeschnitten ist. Diese Person wird zu einem Wert für mich, eine Pflanze, die zu ernähren ist. Einige Pflanzen brauchen nur Wasser und wachsen dann von alleine. Andere brauchen Dünger, für andere muss ich einen anderen Topf finden…. und so weiter.
In der SSR bestand dieser Modus aus verschiedenen Elementen: die Lehrer waren gut, der Lehrplan war gut strukturiert, und zusätzlich herrschte ein Klima der Einheit, als ob wir alle an einem Faden hängen würden… Es war das gemeinsame Wachsen, über das blosse Lernen und Wissen hinaus … das, was hauptsächlich eine Schule machen sollte: mich auf das Leben vorbereiten. Und mich auf das Leben vorbereiten, heisst hauptsächlich mich kennenlernen. Und das hat die SSR geleistet. Ich hatte einen Lehrer für Wirtschaft, dem ich meine Liebe für das Fach verdanke und deshalb die Fakultät für Wirtschaft und Handel wählte: wir lasen zusammen Zeitungen, es war nicht nur mein Wirtschaftslehrer, er war ein Sparring Partner… das ist die Rolle, die ein Lehrer haben muss, nicht nur ein Fach lehren, sondern mir sagen, wo er mich in Zukunft sieht. Er gab keine Antworten, er war gut darin, mir die richtigen Fragen zu stellen und mir die Freiheit zu lassen, mich zu entscheiden. Das ist der Schlüssel, weil dann ist es deine Entscheidung, aber du brauchst jemanden, der dir die richtigen Fragen stellt. Ich würde sagen, dass das der perfekte Rahmen einer Schule wie die SSR ist.
Ich erinnere mich noch an die ersten Monate der Schulzeit (siehe Foto), alle Mitschüler nahmen mich auf den Arm, weil ich kein Deutsch sprach… Meine Mutter hatte die SSR ausgesucht, da sie mit der bisherigen Schule nicht zufrieden gewesen war.
Als sie uns in der SSR einschrieb, ging ich in die 2. Primarschulklasse, mein Bruder besuchte den Kindergarten und meine Schwester die 4. Primarschulklasse, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Wir wurden mitten im Schuljahr „hineingeworfen“. Am Anfang war es nicht einfach, aber nach und nach hat sich die Schule als schöne Gemeinschaft herausgestellt. Wir haben viel Zeit mit ihr verbracht, nicht nur für den Unterricht, auch für Ausflüge am Wochenende, wir haben Projekte zusammen bearbeitet… Gemeinschaft schaffen, dieses besonders faszinierende Element, gehört zum Erbe der SSR: ich höre und treffe mich heute noch mit meinen ehemaligen Mitschülern, und das Unglaublich und Verrückte ist, dass wir immer noch die gleichen Rollen von damals haben. Rollen, die sich während der Schulzeit in unserer Gruppe gebildet haben.
Einer der Werte, der für dich wichtig gewesen ist auf dem Weg zu der Position, die du heute innehast und dir heute noch im Arbeitsleben hilft…
VB_ Eine bestimmte Position heute zu besetzen, ist nicht nur durch deine technischen Fähigkeiten gegeben, sondern hängt auch von deiner Gabe, Personen zu kennen, andere zu verstehen und anderen zuzuhören ab. Alles Dinge, die von einem bestimmten Lebensweg abhängen. Und solch ein Lebensweg wird auch in der Schule mitbestimmt, weil es dort zu einer Konfrontation mit einem Gegenüber kommt. Wo es früher Konfrontation innerhalb der Familie gab, ist heute der Ort der Konfrontation die Schule. Und in der Schule entsteht ein extrem starkes Gemeinschaftsgefühl, zu vergleichen mit dem Leben in einem Internat. Sinn für Gemeinschaft, für eine Gruppe, zu vermitteln und ständig Konfrontation schaffen. Erziehung zur Konfrontation.
Und wenn du heute auf alles schaust, was wir in der Gegenwart haben? Was würdest du hinzufügen, was würdest du neues in die Schule bringen? Was könnte nützlich sein, um die Schule im Vergleich zu der, wie du sie kennengelernt hast, zu erneuern?
VB_ Meiner Meinung nach muss Schule nicht moderner werden, sondern sich einfach weiterentwickeln und sich anpassen an eine sich verändernde Welt. Vielleicht würde ich mich noch stärker darauf konzentrieren, die kreative Seite zu fördern – auch im Sinne davon, Lösungen zu finden oder sich ein Szenario vorzustellen, das es noch nicht gibt. Es geht nicht um Werkzeuge, sondern um Denken, um Haltung. Wir haben damals sogar Nähkurse gemacht… Man muss aus der Schule etwas Einzigartiges herausholen, Mittel finden, um den Jugendlichen zu helfen, zu erkennen, wer sie tief im Inneren sind.
Du repräsentierst jenen Teil unserer Schülerschaft, der in ein äusserst internationales Umfeld eingetreten ist und unsere Schule dadurch ebenfalls internationaler macht… Du hast dich dann auch für deine Töchter für die SSR entschieden. Welchen Wert erkennst du in diesem Bildungsweg, kurz zusammengefasst?
VB_ Als ich nach vielen Jahren in ganz Europa nach Rom versetzt wurde, war das Erste, was ich tun wollte, meine Töchter an der SSR einzuschreiben. Weil ich den Wert eines Bildungsweges kannte, der mir auch heute noch von Nutzen ist. Die SSR zu besuchen, war zweifellos ein Vorteil, allein wenn man an den Reichtum denkt, der aus der Begegnung mit Menschen aus unterschiedlichen Orten und mit verschiedenen Lebensgeschichten entsteht. Denn – um das Bild des Spiegels zu verwenden, das wir vorhin erwähnt haben – ermöglicht dir die Konfrontation mit mehreren Spiegeln, dich selbst besser zu verstehen: je mehr Spiegel du um dich hast, desto leichter fällt es dir, dich selbst zu begreifen. Früher hatte man einen Beruf und übte ihn ein Leben lang aus, heute ist man ständig in Bewegung und muss sich vor allem immer wieder neu erfinden können. Die Schule muss dir die Instrumente in die Hand geben, um dieser ständigen Herausforderung zu begegnen. Die SSR war genau das für mich – eine Schule, die mir die Fähigkeit gegeben hat, mich dem Wandel anzupassen und Hindernisse zu überwinden. In gewisser Weise kann ich sagen: Die SSR ist eine Vorschule fürs Leben.
Bildunterschriften
- Klassenfoto in der zweiten Primarschulklasse, Eintrittsjahr von Vittorio Braguglia in die SSR: Er ist oben links im Bild.
- Foto mit den Geschwistern als Kinder (Camilla und Pietro), alle SchülerInnen der SSR.
- Foto meiner Familie Braguglia (Ehefrau Verena und die beiden Töchter Aurelia und Ottavia, die die SSR zwischen 2007 und 2016 besucht haben.
- Bild von Vittorio Braguglia heute.