INTERVIEW MIT ARABELLA BERTELLI DE ANGELIS
SCHÜLER: INNEN BERICHTEN ÜBER DIE SCHWEIZER SCHULE IN ROM
INTERVIEW MIT ARABELLA BERTELLI DE ANGELIS
Restauratorin, Vizepräsidentin des Verwaltungsrats der SSR, Präsidentin der Vereinigung ehemaliger SchülerInnen der SSR
Erzählst du uns etwas über dich? Wer bist du und was machst du?
AB_Ich bin in Zürich in der Schweiz geboren, habe aber immer in Rom gelebt. Mein Vater war Italiener, meine Mutter ist Schweizerin und ist Mitte der 60er Jahre nach Rom gezogen. Ich bin Kunstrestauratorin und wurde nach etwa 15 Jahren als Freiberuflerin von den Vatikanischen Museen eingestellt, wo ich mich hauptsächlich mit der Restaurierung von Gemälden befasse. Ich habe das grosse Privileg, in einigen der bedeutendsten Museen der Welt zu arbeiten, und einmal im Jahr nehme ich an der Pflege der Gemälde teil, dies ermöglicht mir sogar Michelangelo „zu berühren”.
Ich habe von 1978 bis 1993, also im Alter von vier bis achtzehn Jahren, die Schweizer Schule in Rom besucht. Die Entscheidung, diese Schule zu besuchen, fiel leicht: Meine Mutter hatte durch die Schweizer Gemeinde in Rom davon erfahren. Dank meiner Grosseltern hatte ich bereits eine starke Verbindung zur Schweiz, aber die tiefste Verbindung entstand durch meine Schulerfahrung an der SSR.
Was mich auch heute noch bewegt, ist der Gedanke, dass ich diesen Weg mit Klassenkameraden gegangen bin, die mit mir aufgewachsen sind und fast wie Geschwister für mich sind. Wir sehen uns immer noch und sind in Kontakt geblieben: 2023 haben wir unser 30-jähriges Maturajubiläum gefeiert. Da ich ein Einzelkind bin, waren meine Klassenkameraden fast wie Geschwister für mich: Das Gefühl der Zugehörigkeit und der Familie, das entstanden ist, verbindet mich tief mit der Schule.
Nachdem du den gesamten Bildungsweg durchlaufen hast, kannst du uns etwas über die Methoden erzählen, die für deine Ausbildung von zentraler Bedeutung waren? Was hat diesen Bildungsweg wirklich geprägt?
AB_Die Schule basiert in erster Linie auf Werten, die ich auch in meiner Familie immer hatte: Verantwortungsbewusstsein, kultureller Reichtum und Selbstständigkeit. Das zweisprachige Lehrprogramm, italienisch und schweizerisch, hat mir etwas zusätzlich gegeben: die Fähigkeit, mich schnell anzupassen, von einem System zum anderen zu „wechseln”. Diese geistige Flexibilität war auch als Erwachsene sehr wertvoll für mich: Sie hat mich gelehrt, von einem Thema zum anderen zu wechseln und verschiedene Situationen flexibel anzugehen. Ich glaube, dass diese Fähigkeit gerade aus der Erfahrung stammt, sich täglich mit zwei verschiedenen Kultursystemen auseinanderzusetzen.
Als du die Schule besucht hast, gab es nur einen einzigen Studiengang, nämlich den für Wirtschaft und Soziales. Trotzdem bist du in einem ganz anderen Beruf gelandet. Wie hat sich die Ausbildung an der SSR auf dein weiteres Studium ausgewirkt?
AB_Nach der Maturität ich mich für Literaturwissenschaft an der Universität La Sapienza in Rom eingeschrieben, während ich mich gleichzeitig auf die Aufnahmeprüfung für das Istituto Centrale per il Restauro, die renommierteste Restaurierungsschule Italiens, vorbereitete. Am Anfang fiel es mir schwer, den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengang zu belegen: Wirtschaft interessierte mich nicht, meine Leidenschaft galt der Kunst. Heute bin ich jedoch dankbar für diese Entscheidung, denn sie hat mir eine ausgezeichnete Anpassungsfähigkeit vermittelt, die für meinen weiteren Werdegang sehr wertvoll war.
Der Anfang vom Studium der Literaturwissenschaft war nicht einfach: Ich war an ein sehr direktes System mit den Lehrpersonen gewöhnt, während ich an der Universität nur eine Nummer unter vielen war. Die ersten Prüfungen waren anspruchsvoll: Es war nicht leicht, eine grosse Menge an Büchern zu bewältigen und sie mündlich zu präsentieren. Dank der an der SSR erworbenen Lernmethode konnte ich jedoch schnell vorankommen: Das ständige Lernen, das Training des Geistes und die Vorbereitung auf die Prüfungen bereits während des Gymnasiums ermöglichten es mir, mich zu organisieren und die Universität mit Selbstvertrauen anzugehen, auch wenn ich von Natur aus keine grosse Lernerin war.
Und von den Geisteswissenschaften kommst du zur Restaurierung…
AB_Die Aufnahme in das Istituto Centrale per il Restauro (Zentralinstitut für Restaurierung) war nur wenigen Personen pro Jahr vorbehalten, und die Aufnahmeprüfung war sehr schwierig. Während ich also Geisteswissenschaften studierte, bereitete ich mich auch auf das Auswahlverfahren vor. Nach fünf Jahren, als ich endlich aufgenommen wurde, fehlten mir nur noch wenige Universitätsprüfungen, und dieser neue Weg begann. Auch hier war die Erfahrung an der SSR von grundlegender Bedeutung: Fächer wie Physik und Chemie fielen mir leicht, und die perfekte Beherrschung von vier Sprachen war ein grosser Vorteil, insbesondere für das Studium von kunsthistorischen Texten in der Originalsprache, da viele Experten und Archäologen deutscher Herkunft sind.
Heute bist du auch im Verwaltungsrat der Schule und Präsidentin des Ehemaligenvereins. Wie siehst du die Zukunft der Schule und was sind die Ziele des Vereins?
AB_2018 haben mich zwei Lehrprsonen gebeten, dem Verwaltungsrat beizutreten. Anfangs wusste ich nicht genau, wie das funktioniert, aber im Gespräch mit dem damaligen Präsidenten wurde mir klar, dass ich einen konkreten Beitrag leisten konnte. Irgendwann fragte mich der Direktor, ob ich daran interessiert sei, den Verein der ehemaligen Schüler zu gründen: Ich nahm begeistert an, und im Mai 2022 wurde der Verein offiziell gegründet.
Das Ziel ist es, die Geschichte und das Erbe der Schule aufzuwerten, ein Netzwerk zwischen ehemaligen SchülerInnen zu schaffen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Der Vorstand besteht aus ehemaligen SchülerInnen unterschiedlichen Alters. Wir versuchen, in Kontakt zu bleiben, und dabei hilft uns auch die LinkedIn-Seite der Schule, die eine hervorragende Möglichkeit ist, die SSR auch im beruflichen Umfeld bekannt zu machen und zu zeigen, wie viele Karrieren sich durch den Besuch dieser Schule eröffnen.
Für mich sind der Verwaltungsrat und der Verein nicht nur eine Verpflichtung unter vielen, die ich zudem unentgeltlich wahrnehme: Sie sind eine Möglichkeit, das Zugehörigkeitsgefühl mit allem, was dazu gehört, aufrechtzuerhalten. Denken wir zum Beispiel an die Erhaltung des Gebäudes unseres historischen Sitzes…
Die Schule war 16 Jahre lang meine Familie, ein echtes Gemeinschaftsleben. Ich möchte dazu beitragen, sie bekannt zu machen und aufzuwerten, denn sie hat ein enormes Potenzial und bietet aussergewöhnliche Möglichkeiten, insbesondere in komplexen Zeiten wie diesen: Wir sollten immer daran denken, dass die Schweizer Pädagogik der Meinungsfreiheit grossen Raum gibt und den Jugendlichen hilft, sich auf ihre Aktivitäten zu konzentrieren und dabei in allen Fächern einen starken Bezug zur Realität zu behalten.
Was hat sich verändert, seit du von einer Studentin zu einem Mitglied des Verwaltungsrats geworden bist?
AB_Die Perspektive hat sich komplett verändert. Wenn man die Schule von innen sieht, versteht man viele Mechanismen: Der Verwaltungsrat kümmert sich um die Finanzen, aber man kann die Schule auch als Bildungseinrichtung betrachten, die einen reichen Austausch zwischen zwei Systemen ermöglicht, dem schweizerischen und dem italienischen. Dieses duale System zu verstehen und hervorzuheben, gibt mir das Gefühl, konkret zum Schutz der grundlegenden Werte der Schule beizutragen.
Du bist auch Mutter einer Schülerin der Schule. Warum sollte sich ein Elternteil für diese Schule entscheiden?
AB_Die Wahl der Schweizer Schule in Rom bedeutet, in eine Ausbildung zu investieren, die nicht nur akademisch, sondern auch zutiefst menschlich ist. Die Kinder lernen die Welt durch zwei Kulturen kennen, zwei kulturelle Systeme, die miteinander verflochten sind. Es geht darum, eine Anpassungsfähigkeit und geistige Flexibilität zu entwickeln, die ein Leben lang erhalten bleibt. Was sie wirklich auszeichnet, ist das Gemeinschaftsgefühl: Meine Tochter ist nicht nur eine Schülerin unter vielen, diese Kinder wachsen in einer familiären Umgebung auf, in der die Beziehungen zu Lehrpersonen und Mitschülerinnen authentisch sind und in der sie Verantwortung, Respekt und Zusammenarbeit lernen. Darüber hinaus vermittelt sie konkrete Werkzeuge für die Zukunft: eine strenge Lernmethode, die Gewohnheit, konstant zu arbeiten, und die Offenheit für den kulturellen Austausch. Es ist eine Schule, die die Kinder darauf vorbereitet, der realen Welt mit Neugier, Selbstvertrauen und kritischem Denken zu begegnen.
Was wünschst du dir für die Schule?
AB_Dass sie weiterlebt und wächst. Bald feiern wir das 80-jährige Bestehen der SSR, und ich hoffe, dass die Schule immer neue Projekte entwickeln und weiterhin aussergewöhnliche Möglichkeiten bieten kann, und dabei das Gemeinschaftsgefühl und die Zugehörigkeit bewahrt, die sie so einzigartig machen. Ich wünsche mir auch, dass sie einen weiteren Wert bewahrt, der sie von anderen Schulen unterscheidet: die grosse Schlichtheit der SchülerInnen, die über das Äussere und die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Schichten hinausgeht und zu dem Gemeinschaftsgefühl und der Gleichheit beiträgt, die an der SSR stark ausgeprägt sind und von allen geteilt werden.
Bildunterschriften
0) Arabella Bertelli De Angelis bei der Arbeit
1) Foto aus dem zweiten Kindergartenjahr (1979)
2) Letztes Jahr des Gymnasiums (1993) Foto des gesamten Gymnasiums mit den Lehrpersonen und dem damaligen Direktor
3) Foto mit einigen Klassenkameraden auf der Terrasse der Schule, am Tag vor Beginn der Maturitätsprüfungen
4) Foto mit den Mitschülern und Eltern nach der Maturafeier
5) Foto mit einigen MitschülerInnen und einigen Lehrpersonen, aufgenommen im Jahr 2022 zum 75-jährigen Jubiläum der SSR, während dem Eröffnungsabend der Alumni-Vereinigung der SSR



































